Kreis Höxter (red). Kann man Nachhaltigkeit zählen?
Wie nachhaltig, ökologisch und ethisch ist die Vereinigte Volksbank ausgerichtet? Wie steht es um die Menschenwürde in der Zulieferkette, wie gerecht sind die Arbeitsverträge der Mitarbeitenden ausgestaltet, wird bei Investitionen auf soziale und ökologische Faktoren geachtet und wie transparent sind eigentlich die Unternehmensentscheidungen gegenüber der Öffentlichkeit? Viele gute Fragen, die im Tagesgeschäft schnell mal in den Hintergrund rücken.
Nicht auf dem guten Gefühl ausruhen
„Wir als Genossenschaftsbank sehen uns schon immer als nachhaltiges Unternehmen, dadurch, dass wir hier in der Region verwurzelt sind und die Unterstützung ihrer Menschen und Unternehmen für uns an erster Stelle steht“, berichtet Thomas Göke, Leiter Vorstandstab bei der Vereinigten Volksbank. „Doch ein gutes Gefühl in Sachen Gerechtigkeit, Ethik und Umweltschutz hat uns nicht mehr gereicht. Wir wollten selbstkritisch auf unsere Abläufe und Praktiken schauen, unsere Grundwerte messbar und transparent machen.“
Eine Alternative zum „Immer mehr“
Ein perfekter Ausgangspunkt für die sogenannte Gemeinwohl-Bilanz: Hier wird der Unternehmenserfolg nicht am Gewinn, sondern an gemeinwohl-orientierten Werten gemessen. Erfunden wurde dieses Instrument von der bürgerschaftlichen Bewegung der Gemeinwohlökonomie (GWÖ). „Unser heutiges Wirtschaftssystem vernachlässigt mit seinem Streben nach dem maximalen Gewinn viel zu oft soziale und ökologische Faktoren. Die Gemeinwohlökonomie greift das auf: Hier ist nicht möglichst viel Geld das Ziel, sondern ein möglichst gutes Leben für alle“, erklärt VVB-Vorstandsmitglied Birger Kriwet die Grundidee der internationalen Bewegung.
Der Weg zur Gemeinwohl-Bilanz
Und so funktioniert das Erstellen einer Gemeinwohl-Bilanz ganz konkret: Es gibt vier große Werte – „Menschenwürde“, „Solidarität und Gerechtigkeit“, „Ökologische Nachhaltigkeit“ und „Transparenz und Mitentscheidung“ – die jeweils zu fünf Berührungsgruppen des Unternehmens in Beziehung gestellt werden: „Lieferant*innen“, „Eigentümer*innen und Finanzpartner*innen“, „Mitarbeitende“, „Kund*innen und Mitunternehmen“ sowie „Gesellschaftliches Umfeld“. Entsprechend der fünf Berührungsgruppen wurden im Spätsommer 2020 bankintern fünf Arbeitsgruppen gebildet, die sich intensiv mit Fragen rund um die vier Werte auseinandergesetzt haben. „Das spannende war, dass mit rund 20 Personen erfreulich viele Mitarbeitende direkt mitwirken wollten. Die Beteiligung einer breiten Basis gibt uns ein gutes Bild, wie wir alle unsere Bank aktuell sehen“, freut sich Thomas Göke, der das Projekt in der Bank leitet und koordiniert. „Die Gemeinwohlberater der Stiftung Gemeinwohlökonomie NRW Christoph Harrach und Christian Einsiedel haben den Prozess begleitet, unterstützt durch Studierende der Uni Paderborn“, ergänzt VVB-Vorstandsmitglied Sascha Hofmann die weiteren beteiligten Personengruppen. „Das Ganze wurde abschließend durch Vertreter zweier weiterer Unternehmen extern auditiert, damit wir sicher sein konnten, mit unserem bankinternen Blick auf das Projekt nicht ‚betriebsblind‘ zu werden.“
Vereinigte Volksbank hat den Grundstein gelegt
Die Ergebnisse der Arbeitsgruppen flossen schließlich in den knapp 100-seitigen Gemeinwohl-Bericht, der die Grundlage der Bilanz bildet. Anfang des Jahres wurde das Dokument an die Gemeinwohlberater übergeben und von diesen auf Herz und Nieren überprüft. Bericht und Prüfung bilden das Ergebnis der Gemeinwohl-Bilanz, das der VVB nun vorliegt: In einer Matrix wird gleichsam aufgeschlüsselt, wieviel Prozent auf der „Gemeinwohl-Skala“ in den 20 Themen-Kombinationen erreicht wurden, und eine Gesamtpunktzahl zwischen 0 und 1000 errechnet. „Wir sind mit der Erstbilanzierung sehr zufrieden, wollen uns natürlich verbessern und haben auch in jeder Arbeitsgruppe Potential erkannt, an dem wir arbeiten wollen“, so Thomas Göke.
Genaues Hinschauen, gute Vorbilder und neue Produkte
Und wie geht es nun weiter?
Welche Entwicklungen hat der Prozess angestoßen? „In erster Linie hat uns die Gemeinwohl-Bilanzierung die Augen für einige grundsätzliche Fragen geöffnet: Was wollen wir als Bank eigentlich genau? Wo wollen wir uns in puncto Nachhaltigkeit positionieren? In welchen Bereichen wollen wir unser Profil schärfen? Damit werden wir uns erstmal auseinandersetzen und in einem zweiten Schritt konkrete Maßnahmen entwickeln“, berichtet Birger Kriwet. Ein paar konkrete Ideen können Vorstand und Projektkoordinator allerdings jetzt schon benennen. So soll der Bereich „Lieferketten“ in Zukunft mehr in den Fokus rücken. Wie sind beispielsweise die Arbeitsbedingungen für die Mitarbeitenden des Rechenzentrums, das für die Vereinigte Volksbank arbeitet – und woher bezieht der Betreiber seinen Strom? Durch eine regelmäßige Überprüfung soll hier mehr Transparenz hergestellt werden. Auch sollen innerhalb der Bank gute Beispiele aus der Mitarbeiterschaft mehr Aufmerksamkeit bekommen: „Ein Mitarbeiter zum Beispiel betreibt sein E-Auto mittlerweile komplett mit eigenem Strom aus seiner Photovoltaik-Anlage. Solche privaten Projekte sind tolle Vorbilder, die künftig im Haus bekannter sein sollen, um weitere Mitarbeitende zu inspirieren“, findet Thomas Göke. Was sich für Kundinnen und Kunden bereits abzeichnet: Vor allem das Produktspektrum soll vielfältiger werden. „Denn der eigentliche Hebel, den wir als Bank hinsichtlich eines nachhaltigen Handelns haben, ist die Frage: Was für Projekte finanzieren wir mit unseren Krediten? Wenn ein Unternehmen mit unserer Hilfe seinen Fuhrpark modernisieren möchte, sind das dann Fahrzeuge, die den aktuellen Emissionsauflagen genügen?“, erläutert Sascha Hofmann. „Es kommt eben darauf an, wie das Geld eingesetzt wird – nicht nur in den privaten und unternehmerischen Entscheidungen unserer Kundinnen und Kunden, sondern eben auch von uns als Bank. Ob wir nachhaltig handeln, lässt sich also zu einem großen Teil daran festmachen, welche Projekte und Unternehmen wir mit einer Kreditvergabe unterstützen. Da ist das ‚Ja‘ zum Kredit für die Erweiterung eines Biobetriebs ebenso politisch wie das ‚Nein‘ zu einem Textilunternehmen, das mit dem geliehenen Geld die Produktion von Europa nach Bangladesch umsiedeln will. Für uns gilt es, genau hinzusehen und so unserer Verantwortung nachzukommen. Hier wollen wir ansetzen, um auch mit neuen Finanzierungsangeboten die Weichen auf das einzig richtige Gleis zu stellen: immer weiter geradeaus Richtung Nachhaltigkeit.“
Veränderung beginnt bei einem selbst.
Mit Aufstellung der ersten Gemeinwohlbilanzierung ist die Vereinigte Volksbank eG 2021 auch Mitglied der "Gemeinwohl-Ökonomie Deutschland e.V." geworden. Unter v-vb.de/wir-sind-gemeinwohlbilanziert finden Sie den Gemeinwohlbericht 2019/2020 mit dazugehörigem Testat.
Mehr zur Gemeinwohlökonomie
Die bürgerschaftliche Initiative der Gemeinwohlökonomie (GWÖ) entstand 2010 in Österreich und wächst seitdem kontinuierlich international weiter. Sie will ein Veränderungshebel auf wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Ebene sein und ein Umdenken der Menschen hin zu einem wirtschaftlichen Systemwandel bewirken. Aktuell sind im Kreis Höxter zehn Unternehmen und drei Städte Gemeinwohl-zertifiziert. Die Gemeinwohlbilanzierungen der Vereinigten Volksbank und zweier weiterer Unternehmen sind im Rahmen des LEADER-Projektes ermöglicht worden.
Foto: Vereinigte Volksbank